ADHS-Schüler darf trotz Inklusion auf andere Schule verwiesen werden

Schulrechtsfall
Basis

Was tun, wenn eine Schülerin oder ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf immer wieder Lehrkräfte und Mitschülerinnen und Mitschüler attackiert, den Unterricht massiv stört und sogar gefährliche Gegenstände mitbringt? Können Schulen in solchen Fällen durchgreifen – oder steht das Recht auf Inklusion über allem? Ein Gericht musste eine schwierige Entscheidung treffen.

Lehrkräfte stehen täglich vor der Herausforderung, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch für ein sicheres und respektvolles Lernumfeld zu sorgen. Schule soll ein sicherer Ort sein, an dem Kinder und Jugendliche nicht nur lernen, sondern auch soziale Kompetenzen entwickeln. Doch was passiert, wenn ein Schüler oder eine Schülerin fortlaufend Mitschülerinnen und Mitschüler sowie Lehrkräfte attackiert und den Schulfrieden massiv stört?

Mit dieser Frage musste sich das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg am 29. September 2023 (AZ: 2 ME 75/23) auseinandersetzen. Demnach konnte ein zehnjähriger Schüler trotz einer diagnostizierten ADHS-Beeinträchtigung wegen grober Pflichtverletzungen an eine andere Schule derselben Schulform überwiesen werden, informiert das Verbraucherrechtsportal anwaltauskunft.de.

Anhaltende Pflichtverletzungen eines Schülers mit ADHS

Der betroffene Schüler, geboren im Jahr 2012, besuchte seit dem Schuljahr 2022/2023 eine weiterführende Schule in Niedersachsen. Bereits in der Grundschule war bei ihm ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich körperliche und motorische Entwicklung festgestellt worden. Die Liste der Verfehlungen ist lang: Schläge, Beleidigungen, sexuelle Anspielungen und schließlich die Verletzung einer Mitschülerin mit einem Rasiermesser. Besonders schwerwiegend waren sexuelle Belästigungen von Mitschülerinnen sowie das Mitführen eines Rasiermessers, mit dem er eine Mitschülerin verletzte.

Die Schule hatte mehrfach erzieherische Maßnahmen ergriffen, darunter Gespräche mit den Eltern, Abmahnungen, vorübergehende Ausschlüsse vom Unterricht und den Wechsel in eine andere Klasse. Trotz dieser Maßnahmen verbesserte sich das Verhalten nicht. Die Schulleitung entschied daher in einer Klassenkonferenz, den Schüler an eine andere Schule derselben Schulform zu überweisen.

Gericht: Abwägung zwischen Inklusion und Schulfrieden

Die Eltern des Jungen legten Widerspruch gegen die Maßnahme ein und beantragten einstweiligen Rechtsschutz. Sie argumentierten, dass ihr Sohn aufgrund seiner ADHS-Problematik nicht für sein Verhalten verantwortlich gemacht werden könne und das Prinzip der Inklusion einer Schulüberweisung entgegenstehe. Das Verwaltungsgericht Hannover wies den Antrag jedoch zurück. Diese Entscheidung wurde nun vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigt.

Das OVG Lüneburg betonte in seinem Urteil, dass das Inklusionsprinzip nicht bedeute, dass jede Verhaltensweise toleriert werden müsse. Im vorliegenden Fall überwog das öffentliche Interesse an einem sicheren Schulbetrieb. Die Richter wiesen darauf hin, dass auch bei Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf Ordnungsmaßnahmen bis hin zum Schulverweis zulässig seien, wenn sie die Sicherheit anderer gefährden oder den Schulbetrieb nachhaltig stören.

Das Gericht stellte klar, dass die Schule alle pädagogischen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, bevor sie den Schulverweis aussprach. Zudem wurde berücksichtigt, dass der Schüler trotz seiner ADHS-Erkrankung in der Lage war, sein Fehlverhalten zu erkennen und zu reflektieren.

Was bedeutet das Urteil für Lehrkräfte?

Handlungsspielraum: Das Urteil stärkt die Position von Schulen, bei gravierenden Pflichtverletzungen durchzugreifen. Es zeigt, dass auch bei Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf Grenzen gesetzt werden müssen.

Dokumentation ist entscheidend: Die detaillierte Dokumentation der Vorfälle und der ergriffenen Maßnahmen war im vorliegenden Fall ausschlaggebend. Lehrkräfte sollten jedes Fehlverhalten und alle Gespräche mit Schülern und Eltern genau festhalten.

Zusammenarbeit mit Experten: Bei Verhaltensauffälligkeiten ist die Einbeziehung von Schulpsychologen und anderen Fachkräften unerlässlich. Eine umfassende Diagnostik und individuelle Förderpläne können helfen, Eskalationen zu vermeiden.

Einzelfallentscheidung: Jeder Fall ist einzigartig und muss individuell bewertet werden.

Eine pauschale Anwendung des Urteils ist nicht möglich.

Fazit: Der Schutz aller Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte muss gewährleistet sein

Das Urteil des OVG Lüneburg verdeutlicht, dass die Schule ein Ort der Inklusion, aber auch der Sicherheit sein muss. Es zeigt, dass in Extremfällen auch harte Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Schutz aller Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte zu gewährleisten. Gleichzeitig macht das Urteil deutlich, wie wichtig eine sorgfältige Abwägung zwischen den Rechten des Einzelnen und dem Schutz der Gemeinschaft ist.

Informationen: www.anwaltauskunft.de

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