Überblick

Das Zitatrecht gemäß § 51 Urheberrechtsgesetz (UrhG) ist eine der praktisch bedeutendsten Schranken des Urheberrechts und soll die Freiheit des geistigen Schaffens sichern. Das Zitatrecht gestattet es einem Urheber, bei der Schaffung eigener Werke ohne Einwilligung und Vergütung auf den geschützten Leistungen anderer aufzubauen. Dadurch soll die geistige Auseinandersetzung und damit der allgemeine kulturelle und wissenschaftliche Fortschritt gefördert werden. Aus dieser Zweckrichtung ergeben sich allgemeine Grundsätze und Grenzen des Zitatrechts. Dabei ist zwischen dem Kleinzitat, dem Großzitat und dem Sonderfall des Musikzitats zu unterscheiden: Unter Kleinzitat wird das auszugsweise Zitieren aus fremden Werken verstanden, unter Großzitat das Zitieren vollständiger Werke, und als Musikzitat wird das Zitieren aus einem Musikwerk in einem neuen Musikwerk verstanden. Auch im schulischen Bereich hat das Zitatrecht eine große Bedeutung, denn in diesem Umfeld werden häufig Werke - zum Beispiel Unterrichtsmaterialien - geschaffen, die auf Passagen bereits bestehender Werke zurückgreifen.

Beispiele

Facharbeits-Fall

Schülerin S hat eine Facharbeit über die Neue Ostpolitik in den 70er-Jahren geschrieben. Dort zitiert sie im Wortlaut einzelne Äußerungen aus zeitgeschichtlichen Veröffentlichungen, mit denen sie sich kritisch auseinandersetzt und die das damalige politische Meinungsspektrum belegen. Außerdem gibt S ein 1970 auf dem Titel des "Spiegel" erschienenes Pressefoto vom spontanen Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstands wieder, dessen Wirkung auf die politische Debatte sie diskutiert. Darf S ihre Facharbeit im Internet veröffentlichen?

Kurzantwort

Bei der öffentlichen Wiedergabe (hier: durch öffentliches Zugänglichmachen im Internet) der Textpassagen und des Fotos muss S die Grenzen des Zitatrechts beachten. S schafft mit ihrer Facharbeit ein eigenes urheberschutzfähiges Sprachwerk (auch Schriftwerke, das heißt urheberrechtlich geschützte Texte, zählen zu den Sprachwerken). In dessen Rahmen dient die Wiedergabe von einzelnen Stellen (so genanntes "Kleinzitat") aus anderen veröffentlichen Werken der Unterstützung ihrer eigenen Ausführungen und der Auseinandersetzung mit den fremden Gedanken (so genannte "Belegfunktion"). Daher ist die wörtliche Wiedergabe der fremden Äußerungen nach § 51 Nr. 2 UrhG ohne Einwilligung zulässig. Bei der Wiedergabe des Fotos handelt es sich um ein so genanntes "großes Kleinzitat". Dies ist unter den Voraussetzungen des Kleinzitats anerkanntermaßen ebenfalls zulässig, da bei Fotografien werkartbedingt eine Wiedergabe in Bruchteilen nicht sinnvoll möglich ist. Da sich S mit der Wirkung des Fotos auseinandersetzt, dient es ebenfalls dem Beleg ihrer eigenen Ausführungen. S muss jedoch gemäß § 63 UrhG die Quellen angeben, denen sie die Textzitate und das Foto entnommen hat.

Lyrik-Fall

Deutschlehrer D hat in seiner Freizeit eine umfangreiche private Homepage über Lyrik seit dem Zweiten Weltkrieg gestaltet. Dort stellt er - ohne Beschränkung auf die auf dem Lehrplan stehenden Autoren - besonders einflussreiche und repräsentative deutsche, aber auch einige ausländische Schriftsteller und Autorengruppen vor. Unter kritischer Verwertung der literaturwissenschaftlichen Diskussion analysiert er, welche thematischen Gegenstände, ästhetische und politische Absichten und stilistischen Merkmale für die verschiedenen Strömungen der zeitgenössischen Lyrik kennzeichnend sind. Seine Aussagen belegt er durch Gedichte, die er vollständig wiedergibt. Benötigt D dafür eine Einwilligung der jeweiligen Rechteinhaber?

Kurzantwort

Die Homepage des D ist ein selbstständiges wissenschaftliches Werk, da sie methodisch-systematisch nach Erkenntnissen strebt und solche Erkenntnisse vermittelt und eine eigenständige persönliche geistige Schöpfung des D ist. Daher darf D darin vollständig einzelne erschienene Werke (so genanntes "Großzitat", da fremde Werke nicht nur auszugsweise, sondern im Ganzen zitiert werden) "zur Erläuterung des Inhalts" seines eigenen Werkes aufnehmen und auch öffentlich wiedergeben (hier durch die öffentliche Zugänglichmachung im Internet). Da die Gedichte die von D vertretenen literaturwissenschaftlichen Thesen belegen sollen, dienen sie der Erläuterung des Inhalts seines Werks (Belegfunktion). D benötigt also keine Einwilligung. Er muss jedoch die Quellen angeben, aus denen er die Gedichte übernommen hat. Die Homepage des D ist im Übrigen keine "Sammlung für den Schulgebrauch" nach § 46 UrhG (die zudem vergütungspflichtig wäre), da diese an besondere - hier nicht gegebene - Voraussetzungen geknüpft ist.

Sampling-Fall

Die Schülerinnen und Schüler des Musikleistungskurses haben im Rahmen eines Projekts mit Synthesizern experimentiert. Neben Naturgeräuschen haben sie Klänge von Akkorden und Instrumenten, Stimmen, Rhythmen und Tonfolgen aus verschiedenen älteren und aktuellen Musikstücken von CD digitalisiert und durch Variationen und Arrangements zu eigenen Musikstücken verarbeitet. Benötigen die Schülerinnen und Schüler eine Einwilligung, wenn sie ihre Arbeiten öffentlich vorführen oder ins Internet stellen wollen?

Kurzantwort

Die Verwendung der digitalen Samples in einem Musikwerk stellt eine Vervielfältigung und gegebenenfalls Bearbeitung fremder Musikwerke dar. Solange dies im nicht öffentlichen Bereich (hierzu gehört wohl auch der Unterricht) erfolgt und das Ergebnis nicht veröffentlicht oder verwertet wird, ist dies insgesamt ohne Einwilligung des Berechtigten zulässig und zwar unabhängig davon, ob die betroffenen Passagen so groß sind, dass sie urheberrechtlichen Schutz genießen: Die Vervielfältigung ausschließlich zum eigenen privaten Gebrauch ist als so genannte Privatkopie zulässig, und auch eine Bearbeitung oder Umgestaltung berührt den Urheber des älteren Werks nicht, solange das neue Werk nicht veröffentlicht oder verwertet wird. Urheberrechtsschutz genießen im Übrigen nur Melodien, das heißt geschlossene Tonfolgen, die einem Musikwerk seine individuelle Prägung geben. Klänge und Rhythmen sind dagegen schon keine schutzfähigen Werkteile; ihre Verwendung ist somit ohne weiteres zulässig.

 

Die Benutzung der gesampleten Melodien im Rahmen einer musikalischen Variation bedarf aber grundsätzlich der Einwilligung des Rechteinhabers, wenn das Ergebnis veröffentlicht (auch im Internet) werden soll. Noch nicht "öffentlich" ist die Wiedergabe, wenn die von den Schülerinnen und Schülern geschaffenen Werke nur innerhalb der Schulklasse wiedergegeben werden. Eine Ausnahme durch das Zitatrecht liegt hier nicht vor, da es nach § 51 Nr. 3 UrhG nur zulässig ist, einzelne Stellen eines Werkes der Musik in einem selbstständigen Werk der Musik anzuführen. Wenn die Melodie für eine Variation verwendet wird, bildet sie jedoch die musikalische Grundlage des neuen Werks. Für die öffentliche Vorführung ebenso wie für die Veröffentlichung im Internet benötigen die Schülerinnen und Schüler daher, soweit Melodien verwendet wurden, die Einwilligung der betroffenen Komponisten. Daneben benötigen sie auch die Einwilligung der beteiligten Musiker und des Tonträgerherstellers, da diese Leistungsschutzrechte an den musikalischen Darbietungen beziehungsweise den Tonträgern haben. Auch hier gilt aber wiederum: Da Klänge und Rhythmen keine schutzfähigen Werkteile sind, können diese auch in öffentlich wiedergegebenen Werke ohne weiteres verwendet werden. Auf das Zitatrecht kommt es insoweit also nicht an.